In der letzten Märzwoche dieses Jahres fuhren über 300 Gernsheimer Gymnasiasten und 8 Lehrerinnen und Lehrer nach Oberwesel, um ihre alljährlichen Probentage zur Vorbereitung auf das Sommerkonzert (2. Juni) abzuhalten.
Seit nunmehr 30 Jahren wird diese als „Musikfreizeit“ bezeichnete Fahrt am Gymnasium Gernsheim durchgeführt.
Was behält man von seiner Schulzeit besonders gut in Erinnerung? Einzelne Mathematikstunden? Die Klassenarbeiten? Die spannende Lektüre von Goethes “Faust”? Wohl kaum. Es sind die nicht alltäglichen Momente, die Bestand haben: echte Erlebnisse, zusammen mit Freunden, an ungewöhnlichen Orten, in ungezwungener Atmosphäre. Die Musikfreizeiten des Gymnasiums Gernsheim zählen mit Sicherheit für viele ehemalige und aktive Schüler zu diesen Erinnerungen.
Musikfreizeit: Musik und Freizeit. Das klingt natürlich sehr verlockend – aber Vorsicht: Musikfreizeit bedeutet harte Arbeit und hohe Disziplin, stundenlanges Proben jeden Tag, in kleinen Registerproben oder im Tutti. Manche Schüler engagieren sich gleich in zwei oder drei Ensembles und hetzen von Probe zu Probe. Für Freizeit, im Sinne von „Abhängen“ oder „Chillen“, bleibt gar keine Zeit. Die Belohnung ist das Musizieren selbst, das gemeinsame Vorankommen als Gruppe, das Lob des Musiklehrers, die gegenseitige Wertschätzung. Musizieren in einem Ensemble ist immer gemeinschaftsstiftend. Mal führt man eine Melodie an, mal muss man begleiten, mal pausiert man und zählt aktiv die Pausentakte mit, manchmal hat man ein Solo. Jeder muss sich konzentrieren und sich aktiv einbringen. Wenn dann die Musik zum Klingen kommt, ist es der schönste Lohn, nicht nur im Schulkonzert, sondern auch während der Proben. Manchen Schülerinnen und Schülern hat es auf Musikfreizeit so gut gefallen, dass sie insgesamt auf sieben oder gar acht Teilnahmen zurückblicken können.
Seit dem Jahr 1993 fanden bisher 27 Musikfreizeiten statt: jeweils einmal in Altleiningen und Bad Homburg, einmal zum Leidwesen der Schüler im Gymnasium Gernsheim – weil keine passende Herberge gefunden werden konnte, 9-mal in Oberwesel und 16-mal auf Burg Breuberg.
Es war ein kleiner, bescheidener Anfang 1993, freitags nach der 6. Stunde (!) ging es mit 30 Schülern und drei Lehrern los in die Jugendherberge Breuberg, sonntags wieder zurück. Zwei Ensembles, das Orchester unter der Leitung von Thomas Krooß und das Vororchester, geleitet von Barbara Kiefer, bereiteten damals das Weihnachtskonzert vor, das am darauffolgenden Montagabend in der evangelischen Kirche in Gernsheim stattfand. Da es im Dezember auf der Burg kalt war, wurde künftig im Sommer bzw. im Frühjahr gefahren.
Im Juni 1995 stand die zweite Musikfreizeit an, zur Vorbereitung des Sommerkonzerts – donnerstags bis sonntags. 90 Schüler nahmen nun teil, Vororchester, Orchester, Mittelstufenchor – geleitet von Hermann Grün – und Small Band – geleitet von Heiner Hetzel. Da auch der Unterstufenchor mitkommen wollte, wuchs im April 1996 die Zahl der teilnehmenden Schüler auf 150 an. Die ganze Burg wurde diesmal in Beschlag genommen. Da man nicht den ganzen Tag singen kann, mussten die Kleinen beschäftigt werden. Die Idee, Blätter zu marmorieren und Notenmappen daraus zu basteln, setzten engagierte Eltern in die Tat um.
In den folgenden Jahren wuchs die Zahl der Musiker immer weiter an. Das Rahmenprogramm bei der Musikfreizeit beinhaltete mittlerweile Burg-Rallyes, die Verteilung von Buttons in verschiedenen Farben, „Bunte Abende“ mit Verlosung von Sitzplätzen beim Schulkonzert in der ersten Reihe u.v.m.
1998 stieg mit 210 mitfahrenden Schülern die Teilnehmerzahl auf Rekordhöhe. Da in der Burg maximal 140 Personen übernachten konnten, „durften“ 80 Jungen in Zelten auf einer Wiese unterhalb der Burg übernachten – ein zweifelhaftes Vergnügen, da das Wetter nicht mitspielte. Wegen strömenden Regens mussten die Zelt-Jungs am letzten Abend in die Burg flüchten und in den Probensälen und auf den Fluren schlafen. Fortan wurden die Musikfreizeiten in Etappen unterteilt. Die Schülergruppen wechselten, die Lehrer blieben. 2004 waren es sogar drei Phasen zwischen Montag und Sonntag.
Die Einrichtung der Bläserklassen 2001 hat langfristig dazu geführt, dass das Musizieren viele Schüler ihre gesamte Schulzeit über begleitete. Ein Jahr später starteten die Streicher, zunächst als AG, ab 2008 als Streicherklasse. Neue Musik-AGs wurden gegründet bzw. bereits existierende Ensembles vergrößert. Burg Breuberg musste irgendwann als Ort der Musikfreizeit ersetzt werden. Es mangelte an Betten und für große Bläserensembles war die Akustik im Probesaal schlicht zu laut.
Im Jugendgästehaus Oberwesel unweit des Loreley-Felsens wurde eine passende Stätte gefunden: große Probenräume mit trockener Akustik, komfortable Vierbettzimmer, eine Lounge im Eingangsbereich, sogar ein Schwimmbad im Haus, die geradezu romantische Lage oberhalb des Rheins.
Der Ablauf der Musikfreizeit ist mittlerweile nahezu durchritualisiert. Nach der Anreise und dem Mittagessen werden die Zimmer bezogen und danach geht die Proberei direkt schon los. Im Stundentakt wechseln sich Satz- und Tuttiproben aller Ensembles ab. Auch nach dem Abendessen geht das so weiter. Gegen 21 Uhr kehrt etwas Ruhe ein. Die Schüler gestalten dann den Abend oft gemeinsam, z.B. mit Karaoke, Brettspielen oder langen Gesprächen in der Lounge. Am zweiten Tag gibt es meist ein kleines Zeitfenster am Nachmittag zur freien Verfügung. Die Schüler wandern dann oft in den Ort hinunter, kaufen sich Süßkram oder erkunden die Schönburg in unmittelbarer Nähe zur Herberge. Wenn das Wetter mitspielt, laden die Musiklehrer auch gerne zu einer Schifffahrt nach St. Goar ein. Der Höhepunkt ist für viele Mitfahrer aber meist das gemeinsame Abschlusskonzert unmittelbar vor der Rückfahrt nach Gernsheim. Im großen Kongress-Saal kommen alle Ensembles zusammen und spielen ihren Mitschülern einen Teil ihres geprobten Programmes vor.
In all den Jahren haben unzählige Kollegen, Referendare, Eltern und ehemalige Schüler als Betreuer die Musikfreizeiten unterstützt. Zimmerkontrollen und Schwimmbadaufsichten gehörten ebenso wie spaßige Aktivitäten zu ihren Aufgaben: Wanderungen, Mappen-Basteln, Fußball, Tischtennis, Werwolf spielen (Kartenspiel). Ein Jubiläum ist immer ein guter Anlass, um den Engagierten und Unterstützern eines so bewährten und tollen Projektes wie der Musikfreizeit einmal Danke zu sagen. Die aktuellen Musiklehrerinnen und -lehrer Barbara Kiefer, Julia Mönk, Juliane Henschke, Thomas Krooß, Hermann Grün und Andreas Mönk bedanken sich bei Ihren ehemaligen Musikkollegen Susanne Turß, Heiner Hetzel und Alexander Cvetko; bei den treuesten Betreuern Birgit Weinmann, Simone und Erik Thrin, Christine Haferanke und Ralph Model; bei der Schulleitung und dem Lehrerkollegium, ohne deren Wohlwollen ein solches jährlich wiederkehrendes Großprojekt nicht möglich wäre, und vor allem bei ihrer Schulsekretärin Martina Galley, die mit großer Akribie und Professionalität die Anmeldungen aller Schülerinnen und Schüler sowie die Abrechnung sämtlicher Musikfreizeiten organisiert hat.
Zuletzt sei aber auch den musizierenden Schülerinnen und Schülern gedankt. Solange es Kinder und Jugendliche gibt, die begeistert und motiviert Musik machen (und Eltern, die das erlauben und unterstützen!), wird am Gymnasium Gernsheim auch weiterhin mit großem Eifer musiziert – auf Musikfreizeiten, im Unterricht und in Schulkonzerten.

